Das Material wurde uns freundlicherweise von der ivz.medien GmbH & Co.KG zur Verfügung gestellt, der Bericht und die Videos zur Ausstellung sind am 14.04.2020 in der Ibbenbürener Volkszeitung erschienen.
Rüdiger Wildes Periodische Malerei (von Fabian Paffendorf)
Das Sein im Hier und Jetzt als künstlerischer Ausdruck
Atem - Die Fülle des Augenblicks
Das Sein als Wille sich in der Welt entfalten zu können, beschäftigt seit tausenden von Jahren die
großen Denker. Existenzialphilosophen wie Sören Kierkegaard, Martin Heidegger oder Jean Paul
Sartre nahmen die losen gedanklichen Fäden auf, die seit der griechischen Antike von Vordenkern
wie Heraklit gesponnen worden waren. Der Mensch, er fragt schon immer danach, wer er ist, wie
er in die Welt kam und wozu er hier ist. Was für eine Konstruktion ist die Welt, die ihn umgibt? Und
was findet er darin vor? Wie kann er sich entfalten, in einer von Zeit und Raum definierten
Wirklichkeit, in die er geworfen wurde?
Das künstlerische Schaffen Rüdiger Wildes basiert auf dem Hinterfragen eines Willens zum Sein
und dem Versuch, das In der Welt Sein des Künstlers über den kreativen Prozess hinaus auf
einem Trägermedium visuell einzufangen. Das Papier wird zum Lebensraum. Farben symbolisieren
den steten Wandel, der mit Pinsel aufgetragen, dem Chaos neue Ordnung gibt. In der Periodischen
Malerei geht es dem Künstler darum, unwiederbringliche Momente der eigenen Existenz innerhalb
eines kreativen Prozesses festzuhalten. Eine Möglichkeit dessen, fand Rüdiger Wilde in Form des
Tai Chi und der seiner Ausdrucksform nach Vorbild der chinesischen Kalligrafie.
In der Formenfolge des asiatischen Schattenboxens Tai Chi werden Schlagbewegungen mit einem
kraftschöpfenden Einatmen (Kompression) vorbereitet, das vorwärtsstrebende Freisetzen der
Energie dann vom Ausatmen (Expansion) begleitet. Diesen Kraftfluss des Chi überträgt Wilde in
die Malerei. Der farbgefüllte Pinsel wird von oben herab auf das Papier aufgesetzt, und unter
langsamem Ausatmen, ruhig und gleichmäßig bis zum Abheben geführt. Das nach Einander der
Atemzüge ist ununterbrochen. Kein Atemzug darf in der sichtbar gemachten Reihung fehlen. Dies
erfolgt so, dass die Fortsetzung jeder Bewegung, um Farbe aufzunehmen wieder in den nächsten
Atemzug übergeht. Der Energiefluss des Ying und Yang, entsprungen aus der Unendlichkeit, dem
ungeordneten Chaos, ist der Zugang zur Periodischen Malerei. Beim Versuch Farbstriche
nebeneinander abzustufen, das konzentrierte Tun eines zufälligen Moments im Wechselspiel des
Atems einzufangen, entsteht im Schaffensprozess eine meditative Situation. Die Einzigartigkeit
jedes Atemzuges, der das Ziehen eines jeden Pinselstrichs begleitet, macht den Strich zum Unikat.
Das Bild selbst wird so zu „der Zeit“ unterworfenen Summe von einzigartigen Lebensmomenten
ein Zeugnis von Projektion von Bewegungen und Energie.
Wildes Periodische Malerei ist Aufforderung dem Atem Aufmerksamkeit zu schenken, ihn zu
„betrachten“, seine Korrespon denz mit dem Denken und Tun zu entdecken. Die Symbolik der
Strichführung wird zum Dokument des Augenblickes der Selbstreflexion des Malers. Zeit, Raum, a
priori und a posteriori einer bisher gelebten Existenz bis zum jeweiligen Moment des Schaffens
fallen zusammen, manifestieren sich im Jetzt. Der Farbauftrag ist Spiegelfläche des Lebens und
der Gedanken ein Versuch, ein Weltbild in komprimierter Form zum Ausdruck zu bringen.
Rüdiger Wilde über die Periodische Malerei: „Meine Arbeiten wirken zunächst als reine
Information, interpretierbare Ikonographie. Da gibt es aber auch eine vorangestellte Ebene, die
notwendige narrative Prämisse zum Erfassen der Nachricht, die dem Betrachter den Bezug zur
Periodischen Malerei vermittelt.“